Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren! (Pina Bausch)

Ich habe in der letzten Woche angefangen darüber nachzudenken, welche Erlebnisse mich nachhaltig berührt haben und bin mit Menschen aus meinem Umfeld über ihre Erlebnisse ins Gespräch gekommen.
Auf ein sehr passendes Zitat wurde ich aufmerksam gemacht: Der Schauspieler August Zirner zitiert den Kybernetiker Heinz von Foerster: „Nicht der Sprecher, sondern der Hörer bestimmt die Bedeutung einer Aussage. Jeder Monolog sucht einen Adressaten, nur wenn es einen Adressaten gibt, werden die Worte bedeutsam.“
Nicht nur die Worte werden bedeutsam, sondern auch Inhalte, die wortlos gesendet und zum Zuhörerin oder Zuschauerin transportiert werden.

Gerade sitze ich hier und mir fällt viel dazu ein, was mich im Theater, in der Kunst und der Kultur bewegt hat, aber ich befinde mich in einem Coronaloch und sehne mich nach all dem, was gerade so weit entfernt scheint. Eigentlich sollte Corona ja gar kein Thema dieses Blogs werden – aber es holt mich ein. Das Jetzt ist so gegenwärtig und einschränkend, dass es kaum noch coronafreie Gedanken gibt. Heute zumindest, vielleicht ist das morgen anders.

Ich habe viele Kollegen*innen, die versuchen auch in diesen Zeiten Formate zu finden, weiterzuarbeiten, Kunst zu schaffen, kulturell weiterzudenken. Manchmal funktioniert das und manchmal lernen sie, dass Scheitern dazugehört.
Spannend finde ich, dass Berufsgruppen, die nicht in der Kultur verankert sind, diese nutzen, um sichtbar zu werden und Ansprache zu schaffen.
Immer mehr Krankenhäuser, Polizeidienststellen und Sanitäter nehmen an der Jerusalema Dance Challence Teil.
2019 hat der südafrikanische Komponist DJ Master KG, mit bürgerlichem Namen Kgaugelo Moagi, mit der Sängerin Nomcebo Zikode den Song Jerusalema aufgenommen, der 2020 zu einem viralen Hit wurde und einen Video-Boom auslöste.
In einem Interview beschreibt Kgaugelo Moagi, dass im Text von Jerusalema Gottes Schutz und Führung erbeten wird. Der Text ist eine Hommage an Jerusalem, dem Ort der Sehnsucht und Hoffnung.

Ist das auch Kultur?
Mich erinnert der Jerusalema-Tanz und -Text an ein gemeinsames Gebet. Musik und Tanz verbinden uns und die Menschen und Institutionen, die an der Challenge teilnehmen, haben sich zusammengetan, die Schritte einstudiert und Videos geschaffen, die sie in die Welt schicken. Was ist es, das damit angesprochen wird? Ist es die Verbundenheit, in der Menschen zusammen- und über sich hinauswachsen und hoffnungsvoll und vereint eine Botschaft in die Welt schicken?
Ich sehe Menschen, die in schwierigen Zeiten zusammenhalten und tanzend und lächelnd die Krise durchstehen. Und es erreicht mich als Zuschauerin. In diesem Sinne ist es eine tolle Inszenierung.
Gibt es eigentlich Theaterensembles, die an der Jerusalema Dance Challenge teilnehmen? Gefunden habe ich dazu das Cape Town Philharmonic Orchestra und eine australische Jugendtheatergruppe. Wie würde es aussehen, wenn das Ensemble der Berliner Volksbühne diesen Tanz interpretiert? Oder das Staatsballett Stuttgart?
Was für eine Botschaft würde herüberkommen und wie würde diese vom Zuschauer aufgenommen werden?

Ich frage mich, ob so eine Aktion das Coronaloch ein kleines bisschen weniger anstrengend erscheinen lassen würde. Oder sogar eine kleine Treppe bauen könnte, um aus der Tiefe wieder hochzusteigen.
Was meint ihr?
Hilft es euch, wenn sich Menschen einem Tanz anschließen, der gerade um die Welt geht?

Ein Gedanke dazu kommt mir noch: Seit 2012 gibt es die Kampagne „One Billion Rising“, die von der New Yorker Künstlerin Eve Ensler initiiert wurde. Eine Kampagne die weltweit zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen aufruft. Am 14 Februar werden Frauen weltweit aufgefordert gemeinsam öffentlich zu tanzen. Das habe ich schon ein paar Mal in Stuttgart miterlebt und diese Kampagne hat mich sehr bewegt.
Das ist doch ein ähnliches Prinzip!

Liebe Grüße
Katrin

10 Kommentare zu „Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren! (Pina Bausch)

  1. Liebe Katrin,
    ich kann dich sehr gut verstehen, dass es momentan kaum möglich ist das Thema Corona rauszunehmen . Ich finde das gut, denn es geht uns Alle an, besonders aber auch in der Kunst und dazu einfach zu deinem Blog passend. Schliesslich zeigt uns Corona ja erst die Wichtigkeit von Kultur und denkt unsere Bedürfnisse auf, die früher so selbstverständlich gestillt wurden.
    Ich habe von beiden Bewegungen noch nie gehört, anscheinend scheint mein Coronaloch eine ziemliche Bubble zu sein. Das Billion rising klingt total spannend und ich möchte mich dem gerne anschliessen. Den Jerusalemtanz werde ich gleich googeln. Ich bin mir nicht sicher, wie weit es mir was bringt. Ich mag die Vorstellungen und es kann Etwas tröstliches und verbindendes haben, aber meinen Mangel und Hunger nach Kultur wird wahrscheinlich es nicht stillen. Es bleibt spannend wie es irgendwann weiter geht mit der Kultur. Liebe Grüße
    Nina

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  2. Liebe Katrin,
    ja ich mochte das auch schon vor Corona und fand z.B. die vielen Tanz-Videos zum Song „Happy“ von Pharrell Williams oder zum „Gangnam Style“ von Psy total witzig und zum Teil auch sehr kreativ. Und für einen Moment hat es mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und mich vom Alltag abgelenkt. Und natürlich kann man dadurch Aufmerksamkeit schaffen, ähnlich wie bei Flashmobs oder diversen Challenges (z.B. Ehrenamt Feuerwehr). Und auch Bernie Sanders hat mit seinen Fäustlingen einen viralen Hit gelandet und etwas Gutes getan und den Erlös seiner Fanartikel mit dem Aufdruck seines Outfits an wohltätige Organisationen gespendet. Ich empfinde es also auf jeden Fall als hilfreich!
    VG, Kristin

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  3. Liebe Katrin,
    danke für deine Gedanken. Sie haben mich in den letzten Tagen beschäftigt und nun möchte ich eine Deiner vielen Fragen herausgreifen und (zugegeben mit Gegenfragen) beantworten:
    “Ist das auch Kultur?” fragst du in Bezug auf die Jerusalema-Challenge und ich frage dich: “Ist das nicht eigentlich die ursprüngliche Kultur?” Ist Kultur nur das kultivierte künstlerische Handeln, definiert, zelebriert, festgelegt, kategorisiert und einsortiert in Epochen, Stilrichtungen und Gattungen? Etwas für Profis, die sich der Kunst beruflich oder als Berufung verschrieben haben? Die ausgebildet sind? Ein eigener Zweig unserer Gesellschaft? Ein Selbstzweck?
    Wenn das so wäre oder ist, wäre Kultur doch die pure Dekadenz. Ein Luxusgut, etwas für nur wenige Menschen. Ist sie aber nicht!
    Und das zeigt sich in der Krise und Ohnmacht. Nicht von ungefähr erobert sich die breite Masse die Kultur zurück, will selbst Akteur sein, nicht mehr Zuschauer, nutzt kulturelle Handlungen, um in Kontakt zu treten, sich auszudrücken, Gemeinschaft zu stiften. Und ist das nicht das Wesen der Kunst und Kultur? Ist das nicht eben ihr Ursprung? Lange bevor es Theater, Bühnen und Museen gab, wurde doch getanzt, gemalt, gespielt. Lange zuvor haben die Menschen diese Formen des Ausdrucks genutzt und tradiert. Ganz ohne Regelwerk, ohne Gedanken an Rezeptionen und Rezensionen zu verschwenden. Dass die Kultur nun quasi wieder “säkularisiert” wird, erfreut mich ungemein, es ist eine Chance, die diejenigen, die sich als “Kulturschaffende” bezeichnen, unbedingt ergreifen sollten. Macht euch gemein mit uns Laien, macht mit und erfreut euch an der Kraft, die von der Basis kommt!

    Und, liebe Katrin, lass uns tanzen. Heute, morgen und am 14.02. sowieso. Aber lass es uns wild tun, ungestüm, ohne Choreografie, ganz aus Herz, Bauch und Hüfte. Jeder für sich und alle gemeinsam.
    Ich werde es tun, zur Musik von Gloria Gaynor, Irene Cara (Ich weiß, da bist du dabei), Kate Bush und Sia!
    Es juckt mich in den Füßen.
    Annika

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    1. Liebe Annika!
      Einen Teil von dem, was du beschreibst kann ich unterschreiben. Kulturschaffende bedienen aber nicht nur die professionalisierten Kulturformen, die durchaus dekadent sind und in sich sich geschlossen. Viele Kulturschaffende arbeiten mit der Idee, Kunst von der Basis aus zu denken. Sie wirken als Vermittler zwischen Institutionen und Menschen oder sprechen fern von jeder Professionalisierung Menschen an, um in Kontakt zu treten, ohne Regelwerk und Rezensionen. Traurig ist hier, dass das „Leid“ der Institutionen angesprochen wird, die „freien Kulturschaffenden“ aber komplett untergehen und gar nicht erfasst und gesehen werden. Deren Arbeit ist ungemein wertvoll und so viele wichtige Begegnungen verschwinden. Ich glaube, dass diese Künstler:innen die Basis bereiten. Schon als Beruf, aber nicht als Selbstzweck. Und Wegbegleiter zu haben, die versuchen „die breite masse“ aus dem Wohnzimmer in einen Kontakt zu locken, ist eine gute Sache.
      Diese Diskussion führt die freie Kulturszene mit den Institutionen unabhängig von der Pandemie. Die Krise macht es nur nicht besser, sondern lässt diesen wichtigen Bereich verschwinden.

      Ich tanze mit dir! Am 14.02. und auch an anderen Tagen. I am what I am…
      In diesem Sinne ganz liebe Grüße
      Katrin

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  4. Liebe Katrin,
    wie glücklich kann eine Gesellschaft sich schätzen, Künstler:innen, wie du sie beschreibst und wie du eine bist, zu haben!
    Haltet durch, ihr werdet gebraucht und sicherlich zunehmend auch gesehen!
    Vielleicht zeigt uns die Pandemie und zukünftig ihre Folgen, wie unentbehrlich ihr seid!
    Annika

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  5. Liebe Katrin,
    „One Billion Rising“, ist eine wahnsinnige Erfahrung! Auch ich bin dabei, VOR DIESEM ALLEN HABEN WIR NOCH ZUSAMMEN AUF DEM RATHAUSPLATZ GETANZT. Wir kommen im Moment nicht an C vorbei, auch wenn wir es uns vornehmen. Aber: Wir haben heute 15* C und sind nicht aufzuhalten. Ich gehe jetzt raus und tanze einfach innerlich verbunden mit Dir – OK?
    Maren

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