TANZ MIT DEM SCHWERT


„Künstlerisch leben, heißt als Schaffender leben, d.h. auch, ab und zu mit tausend Damoklesschwertern über sich leben zu können. Die Sachen, die wir vermeiden, weil wir Angst vor ihnen haben, müssen wir hineinholen ins Leben, weil das Leben dadurch spannend wird.“ (Gandalf Lipinski, 2002, S.30)

Diese Sätze von Gandalf Lipinski aus dem Handbuch Theatertherapie, habe ich vor ein paar Tagen gelesen. Künstler als Schaffende zu bezeichnen, finde ich sehr schön. Künstler erschaffen Werke, schaffen Beziehungen und Auseinandersetzungen mit der Kunst. „Schaffende“ hört sich auch aktiv an, jemand, der ein Schaffender ist, ist lebendig und bleibt in Bewegung.
Und was sind die Damoklesschwerter? Das ist bestimmt sehr individuell und gleichzeitig fallen Themen wie Existenzangst, Geldsorgen und Corona auch unter das Bild des Damoklesschwertes.
Auch über den zweiten Satz können abendfüllende Gespräche beginnen, und ich sehe diese Aussagen in so vielen Texten, Stücken, Malereien – kann ich das auch auf Corona übertragen? Ich persönlich habe auch ein Stück weit Angst vor Corona. Ich will nicht verlieren, was mir so viel bedeutet. Meine Freiheit, das Leben, das ich gewohnt bin. Menschen, die ich liebe. Die Möglichkeiten, die mein Beruf mit sich bringt, meine eigene Gesundheit und meine sozialen Kontakte!

Was vermeide ich?
Ich vermeide die Angst. Ab und an in den letzten krisendurchtränkten Wochen habe ich über den Tod nachgedacht und diesen Gedanken sehr schnell verbannt. Bitte nicht! Ich bin zu jung, zu lebendig, um übers Sterben nachzudenken. Und keiner, den ich liebe darf, sterben!
Auf das Zitat bezogen ganz vereinfacht gedacht: Wenn ich die Auseinandersetzung mit dem Tod in mein Leben hole, wird mein Leben dadurch spannender?
Was bedeutet spannender? Ich kann mich natürlich in risikobehaftete Situationen stürzen und den Tod herausfordern. Spannend wird das definitiv, aber das ist nicht die Art Spannung, die ich in meinem Schaffen suche.
Bedeutet dieses Gedankenspiel im Umkehrschluss, dass Risikobereitschaft Kunst ist, also auch Kultur darstellt? Ich glaube, jetzt gerät mein Denken auf Abwege.

Was würde also spannender werden, wenn ich das was ich vermeide, in mein Leben hole.
Wie würde das meine Schaffenskraft beeinflussen, welchen Ausdruck würde ich finden.
Habe ich den Mut es zu versuchen?

Ein weiterer Gedanke, der auftaucht: Wie tief darf das persönliche Damoklesschwert eigentlich hängen?
Wenn es ein paar Meter über mir schwebt und mich begleitet, bin ich beweglich. Aber wie lange kann ich in Bewegung bleiben?
Wenn es sich aber sehr tief abgesenkt und mich bei der kleinsten Bewegung schneidet, bin ich dann noch handlungsfähig oder muss ich stillhalten, um nicht verletzt zu werden?
Wie geht ihr mit euren Damoklesschwertern um? Wie tief hängen sie gerade und wie tief dürft ihr sie sinken lassen? Wie beeinflusst euch diese Haltung in eurem Schaffen?

11 Kommentare zu „TANZ MIT DEM SCHWERT

  1. Hmmm, schwere Frage. Was meine Kunst angeht ist das Schwert ganz unten. Da gibt es keinen Spielraum, zumindest nicht für Theaterschaffende. In dieser Zeit beneide ich die Musiker , die immer noch ihre Kunst als Ausdruck haben, ihr Instrument mit ihnen im Lockdown und sogar mit der Möglichkeit über Digitalität sogar gemeinsam Songs aufzunehmen und öffentlich zu machen. Für Theaterkünstler ist das schon schwieriger.

    Angst hab ich in den letzten Monaten auch gehabt.
    Ich weiß nicht , ob Kunst oder mein Leben spannender wird , wenn ich reinhole, was ich vermeide .
    Für die Vermeidung gibt es ja auch einen Grund.
    Ich denke mal drüber nach.

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    1. Liebe Nikata!
      Ich hoffe sehr, dass dein Schwert bald wieder weiter nach oben kommt!
      Du hast recht, für die Vermeidung gibt es meist einen Grund, aber funktioniert Vermeidung besser als Auseinandersetzung?
      Das ist wahrscheinlich auch sehr individuell!
      Liebe Grüße
      Katrin

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  2. Liebe Katrin, Dein Beitrag ist zum Drübernachdenken! Aktiv sein, in Bewegung bleiben, Sich lebendig fühlen mit den Mitteln der Kunst. Das gilt für das Selbertun und das Anschauen, Anhören, Anfühlen von Kunst.
    Bei „Tanz mit dem Schwert“ habe ich zuerst an Tanz und meine Sehnsucht danach und dann an ein Schwert in der Hand der Tanzenden gedacht, an ein Ritual mit Kampfgeist.
    Das Damoklesschwert hat mich erst überrascht. Du benennst Deine Ängst und Sorgen in dieser Zeit. Das finde ich gut, weil in meiner Wahrnehmung viele Menschen gerade vor Vernunft erstarren. Den Gefühlen von Angst, Sorge, Zorn, Ohnmacht, Hilflosigkeit Raum geben bedeutet für mich nicht, unvernünftig zu sein. Ausdruckstanz wäre jetzt das Richtige.

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    1. Liebe Fahrtenschreibern!
      Jetzt freue ich mich richtig diesen Titel gewählt zu haben – der mir erst gar nicht so gefiel. Aber deine Erklärung dazu ist toll! Und du hast recht, Ausdruckstanz wäre jetzt wirklich das richtige! Vielleicht mache ich gleich mal etwas Musik an und tanze gegen die Erstarrung an.
      Danke für deinen Beitrag.
      Liebe Grüße
      Katrin

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  3. Liebe Katrin,
    wenn ich aus meiner Perspektive tatsächlich von einem Damoklesschwert sprechen sollte, so schwingt es eher unterschwellig. Mein Unterbewusstsein suggeriert mir in den Auswirkungen des Körpers á la verkrampfte Haltung, Spannungen, dass dieses Schwert da ist. Dennoch will ich mich davon nicht weiter beeinflussen lassen und nehme die Situation an, wie sie sich mir gerade darstellt, tanze um Hürden herum, dehne die Regeln, Gesetze waren schon immer Gummiparagraphen und Auslegungssache, also alles eine Frage der Interpretation, dennoch in einer Weise, die ich moralisch vertreten kann. Durch meine kleinen und feinen Leidenschaften, denen ich fröne, bleibe ich beweglich, weil ich die Möglichkeit habe, abzutauchen, mich in eine andere Welt zu versetzen. Ich glaube, letztlich liegt es an mir, inwieweit sich so ein D-Schwert hinabsenkt, ich kann es beeinflussen, zwar nicht von außen, aber aus mir selbst heraus. Dabei macht es durchaus Sinn, den Blick zu wechseln und sich nicht auf das Problem zu fokussieren, sondern auf die Möglichkeiten.
    Liebe Grüße
    Katrin

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    1. Liebe Katrin!
      Den Aspekt, dass unser Körper die Nähe des Damoklesschwert beschreibt, hatte ich gar nicht im Blick. Aber das ist so. Der Körper ist schon sehr klug und erzählt viel von dem, was wir erleben.
      Gummiparagraphen – das Wort gefällt mir! Ich glaube auch, manche Regeln müssen gedehnt werden, um uns geistig flexibel zu halten.
      Etwas aus sich heraus zu beeinflussen ist für mich die Königsdisziplin. Da sollte man hinkommen, auch wenn es in Coronazeiten schwierig ist, sich nicht fremdbestimmt oder gefangen zu führen. Aber immer wieder hinzuschauen, wo man Einfluss auf sich hat, ist ein wichtiger Gedanke.
      Danke dafür!
      Liebe Grüße
      Katrin

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      1. Liebe Katrin,
        an dieser Stelle kommt es, meines Erachtens, auf die eigene Haltung und Einstellung an, inwieweit möchte ich, dass Fremdbestimmung auf mich einwirken und mich niederdrücken. Ich glaube, bei mir würde es arg eng, wenn ich nicht mehr nach draußen dürfte. Da ich nicht mehr zu der Sorte Mensch gehöre, die große Menschenansammlungen suchen, bleibe ich lieber in der Stille und pflege die Kontakte, die mir lieb und wichtig sind. Denn eines habe ich durch meine Sylt-Aufenthalte gelernt, ich kann sehr gut mit mir alleine sein, aber, und dass lasse ich mir durch keinen Corona-Virus der Welt nehmen, ich muss raus, ich brauche die Bewegung an der frischen Luft wie die Luft selbst zum Atmen. Mit wenig klar zu kommen, habe ich gelernt, nicht zuletzt durch Bruder Sparstrumpf, aber ein paar Bedürfnisse möchte ich dennoch gedeckt wissen, wenn ich schon im großen Stile Verzicht übe. Und zu guter Letzt hilft der Glaube an das Licht am Ende des Tunnels. Beobachte ich die Menschen um mich herum, stelle ich fest, wieviel kreatives Potential doch durch diese besondere Situation freigesetzt wird, Kreativität weniger im künstlerischen Sinne, als Kreativität bei der Suche nach Alternativlösungen, um eine unerträgliche Situation in eine erträgliche Situation zu wandeln. Das finde ich bewundernswert und auch erstaunlich, dass wir zu Höhenflügen aus uns selbst heraus animiert werden, wo wir sonst in der Sofaecke versauern würden. Und ich sehe noch etwas: Das Wachrütteln und Überdenken menschlicher Wertesysteme, das Überbordwerfen eingefahrener Denk- und Verhaltensmuster, aber auch diejenigen, die sich vor die Tür trauen, weil sie denken, ihr Stündlein hätte geschlagen, die sonst eher im Hintergrund bleiben, sich verstecken und den Kopf nach unten richten. Vor diesem Hintergrund sehe ich auf politischer Ebene – und das ist nicht unbedingt mein Wohlfühlparkett – ein Damoklesschwert, welches mir weitaus mehr Angst bereitet als das persönliche. Vieles von dem, was ich im letzten Jahr beobachten konnte, kommt mir bekannt vor aus einer anderen Zeit, aus einer dunklen Zeit. Da gibt es welche, und das sind nicht wenige, die schmarotzen, ausnutzen, für sich nutzen, um sich zu profilieren, die Ränge nach oben zu klettern, hier liegt es an uns, inwieweit wir das zulassen wollen, denn hier können wir Einfluss nehmen nach außen.
        Meine assoziativen Gedanken zum Montag,
        liebe Grüße Katrin

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  4. Liebe Katrin, danke für deine Gedankenanstoßen, ich werde darüber nachdenken! Stimmt aber total, wenn sie zu tief hängen, kann man nicht Leben. Wenn sie zu weit weg sind wahrscheinlich auch nicht…hmm🤔 Liebe Grüsse Anneke

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    1. Liebe Anneke!
      Jetzt hast du mir auch einen Gedankenanstoß gegeben. Wenn das Schwert zu weit weg ist, kann man nicht leben. Das ist spannend. Ich werde darüber nachdenken.
      Liebe Grüße
      Katrin

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  5. Liebe Katrin,

    Kultur ist das Leben. Ohne Kultur ist unser Dasein in allen Bereichen dumpf und beschränkt. Das Damoklesschwert einer Entscheidung schwebt stets über uns. Wir haben die Wahl, mit unserem Denken und Handeln neue Perspektiven zum faktischen und kulturellen Wohlergehen zu schaffen oder zu verharren in lähmender Dunkelheit. Ich bin überzeugt,dass wir es schaffen und die Kultur unseren unbändigen Hunger nach Leben stillt.

    LG Papa

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